"The Danger of A Single Story?" Alltagsverstand als ambivalente (Un)Möglichkeit feministischer Allianzbildung
Bildet Banden!‘ – Aber wie?! Schlagkräftige Allianzen und kritische Bündnisse für gesellschaftliche Veränderungen werden in Zeiten multipler Krisen, in denen autoritäre, patriarchale, rassistische, klassistische und (hetero-)sexistische Muster weiter an Aufwind gewinnen, umso dringlicher. Doch verbleibt die Schwierigkeit groß, für den Zusammenschluss gemeinsame Gegner:innen auszumachen, sowie nach gemeinsamen Forderungen und kollektiven Handlungsmöglichkeiten zu fragen. Diese (Un)Möglichkeiten feministischer Allianzbildung werden in Debatten der kritischen Geschlechterforschung sowie der feministischen Theorie breit diskutiert (vgl. u.a. Susemichel und Kastner 2018; Dowling et al. 2017; Purtschert 2017; Hark 1999). In dem vorliegenden Konferenzbeitrag möchte ich in dieser Debatte eine alltags- und hegemonietheoretische Perspektive für die kritische Geschlechterforschung stark machen, die bislang noch nicht ausreichend Aufmerksamkeit erfahren hat.
So argumentiere ich im Anschluss an die feministische Politikwissenschaftlerin Brigitte Bargetz (2016), dass zur kritischen Allianzbildung dem alltäglichen Leben eine zentrale Rolle als ambivalenter Kampfplatz zukommt. Zum einen verfestigen sich im alltäglichen Leben Herrschaftsverhältnisse in ihrer intersektionalen Verwobenheit, zum anderen bietet der Alltag Möglichkeiten des emanzipatorischen Widerstands. Um zu verdeutlichen, inwiefern feministische Allianzen im Alltäglichen beginnen (und enden können), schlage ich die Ergänzung um eine hegemonietheoretische Perspektive vor. Hegemonietheoretische Arbeiten (u.a. Ludwig 2007) im Anschluss an den marxistischen Philosophen Antonio Gramsci (2012) legen den Fokus auf die Ideen, welche das alltägliche Leben konstituieren. Diese Ideen bestimmen in ihrer Verdichtung Erzählungen darüber, was in bestimmten Gesellschaften zu bestimmten Zeiten als normal und richtig und damit als alternativlos gilt, und worüber gesellschaftlicher Konsens herrscht – wie „das bipolare Alltagsverständnis von Geschlecht in unserer Gesellschaft“ (Graf et al. 2013, S. 188). Gramsci benennt diese Erzählungen als Common Sense, aus welchem gängige Maßstäbe nicht nur des Denkens, sondern auch des Handelns resultieren. In den Common Sense werden „Normen, Werte und Moralvorstellungen“ integriert, „die in zivilgesellschaftlichen Institutionen [...] ausgearbeitet werden“ (Ludwig 2007, S. 198).
Common Sense stellt somit ein machtvolles Instrument im Kampf (zivil)gesellschaftlicher Kräfte dar, welches kollektive Identifizierung und damit auch kollektive Handlungen alltäglich (un)möglich macht: Im Common Sense, so werde ich in einem ersten Schritt argumentieren, als „single story“ (Adichie 2009) der Zustimmung zu herrschaftlichen Verhältnissen manifestiert sich die Verunmöglichung kritischer Allianzen. Common Sense kann aber ebenso, wie ich unter Rückgriff auf Gramscis Philosophie der Praxis in einem zweiten Schritt argumentieren werde, unter bestimmten Bedingungen auch das nötige Lösungspotenzial bieten, um fruchtbaren Boden für kritische Allianzbildung zu ermöglichen.
Henrike Bloemen, M.A.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin & Doktorandin, Professur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt der Theorie und Politik von Geschlechterverhältnissen |Geschäftsführerin, Zentrum für Europäische Geschlechterstudien (ZEUGS), Universität Münster.
Literaturverzeichnis
Adichie, Chimamanda Ngozi (2009): The danger of a single story. TEDGlobal. TED Talks, 2009. [URL]: https://www.ted.com/talks/chimamanda_ngozi_adichie_the_danger_of_a_single_story/transcript?language=en, zuletzt geprüft am 05.01.2021.
Bargetz, Brigitte (2016): Ambivalenzen des Alltags. Neuorientierungen für eine Theorie des Politischen. Bielefeld: Transcript.
Dowling, Emma; van Dyk, Silke; Graefe, Stefanie (2017): Rückkehr des Hauptwiderspruchs? In: PROKLA 47 (188), S. 411–420.
Graf, Julia; Ideler, Kristin; Klinger, Sabine (Hg.) (2013): Geschlecht zwischen Struktur und Subjekt. Theorie, Praxis, Perspektiven. Opladen: Budrich.
Gramsci, Antonio (2012): Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe. 10 Bände. Hg. v. Klaus Bochmann und Wolfgang Fritz Haug. Hamburg: Argument.
Hark, Sabine (1999): deviante Subjekte. Die paradoxe Politik der Identität. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Ludwig, Gundula (2007): Gramscis Hegemonietheorie und die staatliche Produktion von vergeschlechtlichten Subjekten. In: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaft 49 (270), S. 196–205.
Purtschert, Patricia (2017): Es gibt kein Jenseits der Identitätspolitik: Lernen vom Combahee River Collective. In: Widerspruch - Beiträge zu sozialistischer Politik, 36(1), S. 15-22. Rotpunktverlag
Susemichel, Lea; Kastner, Jens (2018): Identitätspolitiken. Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken. 1. Auflage. Münster: Unrast.